Mein Berlin
Wachstumsschmerzen bis in die Mark
Brandenburg bekommt immer heftiger zu spüren, dass in Berlin nichts funktioniert. Denn die Versäumnisse der Stadtregierung der Hauptstadt in Sachen Wohnungsbau strahlen weit über die Landesgrenzen hinaus und sorgen besonders in der Mark für Wachstumsschmerzen.
Wer in Berlin-Buch beim Sonntagsspaziergang nur ein paar Minuten in die falsche Richtung läuft, der kann plötzlich mitten in Brandenburg stehen. Doch schon in Buch sorgt die Stadt dafür, dass Wohnungen in der Hauptstadt Mangelware bleiben. Eigentlich war dort seit Jahrzehnten ein Areal reserviert, auf dem 2500 Wohnungen gebaut werden sollten. Dass das Vorhaben bislang nicht über die Planungsphase hinausgekommen ist, lässt sich schon am Namen erahnen. „Buch V“ heißt es im Flächennutzungsplan. Genau an dieses Stück Land hat sich Berlin im Sommer 2019 gewagt und wollte eben jenes „Buch V“ einfach streichen.
Es soll Ackerland werden, obwohl bereits vor Jahren Verträge mit einem Unternehmen geschlossen wurden, das dort nicht nur Wohnungen, sondern auch eine Sportanlage und weitere Projekte realisieren wollte, die das Gebiet zusätzlich aufwerten sollten. Dazu ist das Areal bestens angebunden. Ein S-Bahnanschluss ist wenige 100 Meter entfernt.
Berliner Verknappung, Brandenburger Verdrängung
Tatsächlich verschleppt der Berliner Senat den Wohnungsbau aus politischem Kalkül: Die Berliner Verknappungspolitik ist das Gesellenstück der Berliner Linken. Auf dem Rücken des Mangels an Wohnungen lassen sich wunderbar Mietendeckel und Enteignungsfantasien in der Gesellschaft platzieren. Dass das Kapitel Wohnungsbau in Buch nun womöglich geschlossen wird, erhärtet diesen Verdacht. Denn Buch ist kein Einzelfall: In Altglienicke hat der Senat 250 Millionen Euro für teils unsanierte DDR-Plattenbauten hingelegt, 1800 Wohnungen gab es dafür. Für dieses Geld hätte Berlin an anderer Stelle rund 10.000 Sozialwohnungen bauen können.
Wer zwar gut verdient, aber nicht so gut, dass es als Doppelverdiener mit Familie noch für eine große Wohnung am Kollwitzplatz im Prenzlauzer Berg reicht, der prüft seine Optionen und wagt immer öfter beispielsweise einen Blick in die S-Bahngemeinden, also nach Birkenwerder, Hohen Neuendorf und Co. Aber auch die Orte Teltow, Oranienburg, Bernau und Wildau werden immer häufiger genannt. Die Liste der Gemeinden, die den Berlin-Druck unmittelbar zu spüren bekommen, ist lang. Hinzu kommen beschauliche Orte in der Uckermark. Berlin-Mitte soll im Sommer quasi Hipster-frei sein, weil die den Sommer lieber in Gerswalde verbringen.
Zunehmend spüren die Brandenburger unmittelbar, wenn in Berlin-Mitte für Neubauten teilweise Preise wie in München aufgerufen werden. Folglich wachsen dann auch im Umland die Sorgen derer, die schon vorher da waren und nun das Gefühl haben, dass auch sie langsam das Feld räumen müssen, weil der Zuzugsdruck aus Berlin mit entsprechendem Kapital daherkommt.
Dabei müsste Brandenburg eigentlich noch viel stärker von diesem Hype profitieren. Was auch dort gebraucht wird, ist schnelles und günstigeres Bauen, digitale Infrastruktur sowie ÖPNV-Ausbau. Das sind Fragen, die nicht nur Berlin umtreiben sollten. Während wir in der Hauptstadt mindestens darüber nachdenken sollten, ein Geschoss oben draufzusetzen, könnten die Endstationen der S-Bahnen um eine Station verlängert werden. Davon haben dann nicht nur die Ortschaften was, sondern es erschließen sich auch gleichzeitig neue Bau- und Wirtschaftspotenziale für eine endlich gemeinsam wachsende Metropolregion Berlin-Brandenburg.
Doch neue Potentiale sind das eine, das andere ist die infrastrukturelle Grundausstattung: Nehmen Sie das schnelle Internet oder die Mobilfunkversorgung. Wenn Sie am Berliner Alexanderplatz in den Regionalexpress 1 einsteigen und sich auf den Weg nach Frankfurt/Oder begeben, sind Sie schon nach wenigen Minuten von der digitalen Außenwelt abgeschnitten. Briesen (Mark): Kein Anschluss unter dieser Nummer. Sicherlich kennen Sie mindestens einen Pendler, der sich morgens in sein Auto steigt oder zum Bahnsteig begibt, um nach Berlin zu fahren. In der Arbeitswelt von morgen fährt er vielleicht nur noch zwei- oder dreimal ins Büro, den Rest der Woche könnte er vernetzt im Home-Office arbeiten. Dafür braucht es allerdings schnelle und vor allem stabile Leitungen.
Der Dax, hauptstadtscheues Raubtier?
Generell ist das Thema Digitalwirtschaft eines, durch das Berlin und Brandenburg miteinander verbunden sind und woran sie künftig wachsen können. Zalando residiert unweit der East-Side-Gallery, also im Herzen Berlins, in Brandenburg entstehen im Gegenzug hunderte neue Jobs für die Logistik des Versand-Riesen. Wer weiß, vielleicht haben wir irgendwann wieder einen DAX-Konzern in der Region Berlin-Brandenburg oder tatsächlich demnächst einen Tech-Riesen aus Übersee, der viele spannende und neue Jobs in der Region schafft.
Allerdings zeigt gerade der Fall Tesla, wie hart in Wirtschaftsfragen um die Kompetenzen in der Metropolregion Berlin-Brandenburg gestritten wird. Während die Brandenburger für sich in Anspruch nahmen, allein sie hätten die Verhandlungen geführt, brachten die Berliner um die Wirtschaftssenatorin Ramona Pop zum Ausdruck, sie seien es gewesen, die Tesla-Chef Elon Musk überzeugt hätten. Dabei gab es bislang noch nicht einmal einen Spatenstich, sondern lediglich einen verheißungsvollen Tweet des Firmenchefs. Noch immer verstehen sich die Regierungen in Berlin und Brandenburg als Konkurrenten, dabei sollten sie doch Partner sein. Brandenburg hat den Platz, Berlin bringt die Attraktivität ein.