Mein Berlin
Fashion Week: Was Berlin von Frankfurt lernen kann
Wichtige Modemessen verlassen Berlin und machen 2021 in Frankfurt am Main weiter. Wen wundert’s? Denn derweil die Hauptstadt überheblich auf den Rest der Republik schaut, wird am Main aus sehr viel weniger Startkapital oft sehr viel mehr.
Berlin musste eigentlich nicht viel machen, damals in den 1990er Jahren. Wenig schien verboten, alles möglich. In Berlin konnte jeder so sein, wie er wirklich ist. Berlin ist seither ein spannender Ort für die Kreativwirtschaft und digitale Pioniere gewesen. Aus der einstigen Frontstadt des Kalten Krieges wurde Deutschlands Vorzeigeadresse, die Nummer eins der Republik. Die Stadt wurde zu einem Sehnsuchtsort. Was allerdings organisch in den Hinterhöfen Kreuzbergs bis in die Lofts von Wilmersdorf heranwuchs, braucht irgendwann einen strukturellen Unterbau. Und genau da beweist der Berliner Senat ein geradezu vernichtend schlechtes Händchen.
Liebloses Gebuhle um die IAA
Erst verhinderte man im Herbst 2018 den Google-Campus, der eine ungeahnte Strahlkraft auf die Berliner Start-up-Szene hätte ausüben können, dann das lieblose Gebuhle um die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) und nun der Verlust der wichtigen Modeschau Premium, der Händlermesse Seek und von Neonyt, einer Plattform für nachhaltige Mode. Zuerst hieß es, dass auch die Fashion Week an den Main abwandere. Diese solle laut Veranstalter allerdings weiterhin stattfinden – die nächste 2021. Ob es dann auch wirklich dazu kommt, bleibt abzuwarten. Denn die Beispiele zeigen: Berlins Landesregierung ist besonders gut darin, die eigenen Flaggschiffe zu versenken. Mittlerweile verlassen auch Galeristen und Kunstsammler die Stadt, viele unter dem Radar der öffentlichen Aufmerksamkeit.
Die großen Namen zeugen allerdings vom großen Verlust für die Stadt. Christian Flick packt seine 1500 ausgestellten Kunstwerke bis 2021 ein, er verlässt die Hallen am Hamburger Bahnhof. Julia Stoschek stellt an der Leipziger Straße aus, weil auch die Unterstützung der Stadt fehlt, geht sie nun ebenfalls. Da fehlt es nicht nur an Wertschätzung für herausragende Einzelleistungen, sondern dem Wissen darum, dass sich jede Vernissage oder jedes Event entsprechend positiv auf den Wirtschaftsfaktor auswirkt.
Das alles sind lediglich Symptome für einen toxischen Cocktail aus Unvermögen und der Angst vor zu viel Hauptstadtumsatz, vor zu viel Glanz und Glamour. Die grüne Wirtschaftssenatorin Ramona Pop vermittelt oft den Eindruck, dass sie bei vielen Projekten nicht weiß, wie sie sie umsetzen soll. Mitunter wirkt es auch vorsätzlich, vielleicht geschieht das auch, weil sie keinen Rückhalt in der eigenen Partei hat. Für das Werben um die IAA gab es heftige Kritik von der Basis, und bei Google stand Kreuzbergs Baustadtrat und Parteifreund Schmidt in der ersten Reihe – und zwar bei denjenigen, die lautstark gegen den amerikanischen Konzern mobil machten. Immerhin das Tesla-Werk scheint zu klappen, vermutlich, weil Berlins Anteil denkbar gering ausfiel und die Brandenburger den Deal unter Dach und Fach brachten.
In Frankfurt, das die IAA an München verloren hatte, steckten sie nicht etwa den Kopf in den Sand, sondern suchten nach neuen Perspektiven. Als die Modemessen vakant schienen, griff Frankfurt beherzt zu. Jedenfalls müssen sie sich am Main verwundert die Augen gerieben haben über so wenig Gegenwehr aus der Hauptstadt. Frankfurt scheint eine andere Tradition zu pflegen, eine besondere Verbindung zu Unternehmertum bei entsprechender Sensibilität dafür, wann es sich lohnt, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um Unternehmen und Messen für sich zu gewinnen.
Als sich beispielsweise der Brexit abzeichnete, warb Frankfurt offensiv um die Banken, die mit dem Gedanken spielen, ihren europäischen Hauptsitz von London auf das Festland zu verlagern. Der Spirit reichte von der Stadtverwaltung bis hinein in die Privatwirtschaft. Denn obschon das Bankenviertel nicht nur Befürworter hat, wertet es die Stadt entschieden auf. Denn am Standort hat sich eine vielversprechende Start-up-Szene entwickelt, besonders Fintechs fühlen sich im Schatten der großen Bankentürme wohl. Die Wege sind kurz, und die Klientel ist international.
Klar, dass das deutsche Flugdrehkreuz in Frankfurt steht. Gerade wird Terminal 3 ausgebaut. Schon heute ist der Flughafen wahnsinnig groß, wer vom einen Ende zum anderen muss, ist gern mal bis zu eine Stunde unterwegs. Vermutlich ist Frankfurt-Flughafen auch deshalb ein eigener Stadtteil.
Eine Chance vertan
Berlin plagt sich indes mit dem BER herum. Nach mehr als zehn Jahren Verzögerung soll er im Herbst endlich eröffnen, ohne richtigen Probelauf und bereits vor dem ersten Abflug bereits zu klein. Eine dritte Start-und-Lande-Bahn wird es nicht geben, da wird der Partner aus Brandenburg nicht mitmachen. Einen Vorteil hat Berlin gegenüber Frankfurt – noch jedenfalls. Der Stadtflughafen Tegel könnte künftig als City-Airport eine wichtige Stütze für Geschäftsreisen sein. Doch Tegel soll geschlossen werden. Das wurde vor mehr als 20 Jahren so beschlossen, die Berliner Landesregierung will nicht vom Plan abrücken, auch wenn die Mehrheit der Hauptstädter für die Offenhaltung ist. Hier wird wieder eine Chance vertan, ein Standortvorteil geschlossen. Da geht es nicht darum, was ein Flughafen leisten soll, sondern wofür er vermeintlich steht. Verkehrspolitik als politisches Erziehungsmittel. So etwas könnte einer wirtschaftlich erfolgreichen Stadt wie Frankfurt kaum passieren, denn dort steht das Wohl der Stadtgesellschaft an erster Stelle.
In Berlin hingegen fühlen sich junge Gründer nicht im Schatten von gewichtigen Dax-Konzernen wohl, sondern ärgern sich mit schlechten Internetverbindungen herum und warten monatelang auf die Bewilligung von Anträgen. Da ist es nicht verwunderlich, dass viele von ihnen lieber nach Paris, Wien, Tel Aviv oder eben Frankfurt abwandern. Dort ist es nicht unbedingt schöner, vieles aber einfacher. Denn Ansehen und Lebensqualität sind das eine, wirtschaftliche Aspekte und Verständnis das andere.
Die Ereignisse um die Fashion Week sind ein weiterer Warnschuss für die angeschlagene Hauptstadtwirtschaft. Denn die Fashion Week ist nicht nur prestigeträchtig, sie bringt auch richtig was an Umsatz. Rund 70 000 Messebesucher sollen es sein, die jedes Jahr für die Schau nach Berlin kommen. 70 000 Menschen, die in Berlins Hotelbetten schlafen oder in den Restaurants der Stadt zu Abend essen. Das entspricht in etwa Einnahmen von rund 240 Millionen Euro. Darauf kann die Stadt eigentlich nicht verzichten.
So richtig erklärbar ist die Antihaltung nicht, doch es gibt viele Indizien dafür, dass die Entscheider Angst vor zu viel Kommerz haben. Denn die, die vom wirtschaftlichen Aufschwung einer Metropole profitieren, das sind meistens nicht die, denen der linke Kurs Berlins gefällt. Da heißt es: lieber einmal mehr piefig als zu modern. Nur leider passt das nicht zum Image einer Weltstadt, und der Hauptstädter befindet sich in einer Zwickmühle. Wie will er denn nun sein? Provinziell oder weltmännisch? Dazwischen gibt es nicht viel. Berlin lernt das gerade auf das schmerzlichste. Entweder leitet eine Landesregierung mit entsprechender Politik einen Paradigmenwechsel ein, oder sie verstärkt die Ängste vor zu viel Neuerung.
Metropole oder Weltstadt
Corona hat es noch einmal verdeutlicht. Berlin lebt sprichwörtlich von seiner Attraktivität. Doch der vermeintliche Vorteil gereicht der Hauptstadt zu oft zum Nachteil. Denn zur Metropole oder Weltstadt wird man nicht geboren. Frankfurt zeigt, was durch Engagement möglich ist.
Übrigens steht schon die nächste gewichtige Messe immer mal wieder auf der Kippe. Die Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung ILA hat viele Kritiker im rot-rot-grünen Senat. Frankfurt scheint mit seinem Flughafenareal prädestiniert für eine Ausrichtung.
Schließlich gilt das alte Sprichwort – wer schön sein will, der muss auch ein bisschen leiden. Berlin glaubt, nichts weiter für die eigene Attraktivität tun zu müssen. Frankfurt indes zeigt: Ein weiterer Weg in die rosige Zukunft der Stadt führt über einen Catwalk.
Dieser Text erschien als Gastbeitrag am 16.06.2020 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.