Meine Meinung
Bis ans Limit!
Deutschland kasteit sich selbst. Über alten Traditionen hängt plötzlich das Beil des Verbotes, bereit, dieser und jener ein jähes Ende zu bereiten. Dabei haben Menschen zu allen Zeiten frei entschieden, wie sie besser über- und zusammenleben. Das klappte im Laufe der Jahrhunderte ganz gut. Sind Verbote nun die Endstufe? Die letzte Dröhnung zur Glückseligkeit?
Die Hand schnellt hoch, ein kleiner Zettel in der Faust – 692. Die Nummer eines Bieters. Das Gebot für das Werk „Blau Gelb“ von Andreas Brandt ist gerade über 2000 Euro geschossen. >>2500 Euro aus dem Netz, wer überbietet das Netz? 3000! Wir haben 3000 Euro im Saal<<, die Blicke des Auktionators wandern durch den Raum. Von den anfangs vier Bietern sind noch zwei im Saal übrig, die Zahl derer aus dem Internet – ungewiss. Ein Bieter und ein älteres Ehepaar, das ist das Duell vor Ort. Die Kontrahenten schauen sich nicht an, geben dem Auktionator nur Kopfzeichen. Ein leichtes Nicken versichert, dass sie noch dabei sind. >>Wir haben 4000 Euro im Saal<<. Zuerst scheidet das ältere Ehepaar aus, sie wollte schon entschlossen die nächste Zahl mitgehen, aber er legte sachte seine Hand auf die ihre und schüttelte den Kopf. Ein kurzer Blick genügt. >>Lass gut sein<<. Beide sind sich einig. Der einsame Bieter steigt wenig später aus. Werke von Brandt laufen gut an diesem Nachmittag. Zu gut für die ambitionierten Bieter.
Menschen entscheiden jeden Tag, was sie für richtig oder falsch halten. Diät halten oder Fettleber, ein Gin Tonic und dazu eine Zigarette oder Detox bis zum Frühjahr. Beim Brandt’schen Wettbieten in der Villa Grisebach mitmachen oder doch lieber die Finger davon lassen. Selbst der altbekannte Heimweg von der Arbeit, fünf Minuten früher losgehen, eine neue Route nehmen, das kann unser aller Schicksal eine neue Wendung geben – im Guten wie im Schlechten. Wir sind immer mit der Frage befasst, wo wir unsere Limits haben. Natürlich formulieren wir sie nicht und fragen unser inneres Selbst jedes Mal. Unser Verhältnis zu Risiko und die dazugehörige Einschätzung beispielsweise zahlen auf diese Limits ein. Die Lösung dieser Freiheitsgleichung geht sodann immer auf, denn mit dem Ergebnis seiner Entscheidung wird ein jeder leben. Das ist gut so.
Und natürlich können sich Limits im Laufe eines Lebens verschieben. Niemand wird als Unternehmer geboren oder traut sich den Vorstandsposten eines Dax-Konzerns zu. Für niemanden ist ab dem ersten Tag seiner Existenz sofort bestimmt, dass er Krankenpfleger, Bestatter oder Müllfahrer wird. Berufe, in denen Menschen an ihre Limits kommen oder für die sie die eigenen ausweiten.
Andere Menschen wiederum entwickeln Phobien, Ängste vor engen Räumen, haben panische Angst vorm Fliegen. Hier verengen sich die persönlichen Limits im Laufe eines Lebens. Ist es nicht Aufgabe von Gesellschaft, diesen und allen anderen Menschen einen Platz in unserer Mitte freizuhalten?
Wie sähe unser Leben im Gegenzug aus, wenn bereits alles für uns ausgeknobelt, die Würfel gefallen wären. Wenn die anderen wüssten, was sie von uns erwarten können und was wir dafür im Gegenzug von anderen erwarten könnten. Keine Chance für böse Attacken, keinen Irritationen bei Dritten. Was für eine tolle Welt das wäre. Alles wäre so klar.
Ängste, Verbote und plötzlich nur noch Krisen
Niemand will, dass jemandem etwas Schlimmes passiert. Dagegen ist nichts zu sagen.
Allerdings bestimmt allzu oft die Angst vor den Folgen unser Handeln. Einige wenige sollen darüber entschieden, was gutes Leben ist und wer dafür auf was zu verzichten hat. Die Gleichungen sind fortan immer gleich und gehen für den Absender immer auf.
Gerade diskutiert die Republik darüber, ob ein Tempolimit flächendeckend für das gesamte Autobahnnetz kommen müsse und wie viele Assistenzsysteme künftig mitfahren sollen. Die erhofften Ergebnisse: Weniger Feinstaub, weniger Unfalltote. Kaum Zahlen, viel Angstmacherei. Diesel bringt Tod; schnelle Autos bringen Tod; Freihandelszonen bringen noch unbekannte Gefahren, die dann vielleicht Tod bringen. Im Zweifel ist das Streben nach einer unverletzbaren Welt das höchste Gut, das noch jedes Argument ausgestochen hat. Wenn wir allerdings darüber fantasieren, dass die halbe Welt in 30 Jahren vielleicht schon in autonomen Autos sitzt, was spräche dagegen, wenn es vollautomatisiert und voll elektrisch mit 300 über die Autobahn ginge?
Für die Rechenleistung sind 100 oder 300 Kilometer pro Stunde kein großer Unterschied, die CO2-Emission sinkt durch neue Antriebsformen quasi auf null. Die Frage, die wir heute beantworten: Schaffen wir es durch flächendeckende Limitierung bis zu diesem Punkt oder versperren wir uns für dieses Szenario von Zukunft.
Verbotspolitik gleicht ein Stück weit dem Bestattungsgewerbe – beide beschäftigen sich zeitlebens mit dem Ende anderer.
Denn wo der Anfang gemacht ist, ist zumeist auch die Fortsetzung nicht weit: Fleischrationierung, Zigarettenkomplettverbot; nur noch eine Flugreise – alle zwei Jahre; Autokomplettverbote; Verbote für den Handel mit Kulturgut. Was noch nicht ist, kann also noch werden. Dabei ist ´Nein` immer öfter Wahl, um Zukunft zu gestalten. Wer nicht selbst vernünftig ist, den soll der Staat vernünftig machen. Dabei ist noch gar nicht geklärt, was denn eigentlich genau gemeint ist. Entscheidet nicht das persönliche Limit, was noch als vernünftig durchgeht und wovon man besser die Finger lässt? Im Fall der Brandt-Auktion hätte das Wettbieten ewig weitergehen können, solange, bis nur noch ein Bieter übrig geblieben wäre. Alle anderen Limits wären sodann erschöpft gewesen. In dieser Situation springt niemand dazwischen und fordert den Abpfiff der Veranstaltung, weil die Summe womöglich eine absurde Höhe erreicht hat.
Schließen wir hingegen alle möglichen Gefahren des Alltags kategorisch aus, ist zwar die persönliche Limit-Suche für jedermann sofort beendet, wir engen überdies aber auch unsere Art des Lebens zunehmend ein. Als vor mehr als 100 Jahren die ersten Autos die Straßen Berlins säumten, waren sich Droschkenkutscher einig: Nur eine Modeerscheinung. Diese Zeitgeisterfindung werde wieder verschwinden. Bill Gates urteilte in den 1990er Jahren ähnlich über das Internet.
Wir können das Rad der Zeit nicht zurück drehen, das müssen wir nicht, das wollen wir auch nicht. Bislang ist den Menschen immer eine Antwort eingefallen, eine bahnbrechende Erfindung, eine kluge Idee, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Dahinter stehen zumeist ambitionierte Menschen, die sich durch ihre Idee etwas versprechen. Eine materielle Besserstellung, gesellschaftliche Anerkennung und wiederum andere haben Absichten, die bis heute unklar geblieben sind. Nationen sind in der Vergangenheit oft genug daran gescheitert, diesen Menschen Perspektiven zu nehmen oder ihr Handeln einzuengen. Diese Staaten sind gescheitert, weil sie persönliche Limits einfach gleichschalteten.
Die Blockchain ist so ein Beispiel. Das Gros der Menschen weiß heute noch nicht, wofür sie und Bitcoins wohl alles gut sein werden. Die Potentiale werden dieser Tage zumeist noch in Expertenrunden diskutiert. Als allerdings der Wert des Bitcoin im Sommer 2018 auf sich aufmerksam machte, weil sein Kurs in die Höhe schnellte, da wurden Rufe nach Verboten laut. Alles hochspekulativ, alles heikel. Der Hype ist vorerst vorbei und Bitcoins werden weiter in Expertenkreisen behandelt. Haben die Verbotsforderer damit die Entwicklung gehemmt? Vielleicht kann die Blockchain in Zukunft dafür sorgen, dass Warenhandel transparenter sorgen könnte, profitieren nicht nur diejenigen davon, die die Blockchain einsetzen, sondern auch die Kunden, die Warenwanderungen nachvollziehen können.
Kurzum: Es wird in Zukunft auch darum gehen, wie viel Wert individuelle Freiheit noch für uns hat. Dürfen wir noch selbst am besten wissen, was gut für uns ist? Darf ich das? Ist das erlaubt? Droht eine Strafe? Persönliche Limits könnten die neue Zeit prägen. Lieben Sie, wen Sie wollen, essen Sie, was Sie wollen und rauchen Sie, so viel Sie wollen. Wenn Sie mit 200 über die Autobahn fahren wollen, fahren Sie stets links und drängeln nicht und kleben die Lichthupe am besten mit Gaffer ab.
Dass jeder nach seiner Facon glücklich wird, kann nämlich nur gelingen, wenn wir die Limits des anderen anerkennen und respektieren. Wer kräftig auf das Gaspedal drückt und dabei wissentlich andere in Gefahr bringt, der sollte am besten gar kein Auto mehr bewegen dürfen. Diese scharfe Trennlinie zwischen eigenem Limit und dem, was wir von anderen erwarten, diese Trennlinie muss Politik so gut es geht freilegen. Auf der Autobahn, im Internet und an der Fleischtheke.
Die Wertmachung
Verbotspolitik traut diesen und allen anderen Menschen kaum noch etwas zu, schon gar keine Limits. Schon gar keine Selbstreflexion. Die Welt befindet sich in einer großen Krise, die sich aus vielen kleinen Konfliktherden speist. Doch die Askese unterminiert die Möglichkeiten. Wenn wir keine Freiräume mehr geben, verengen wir unseren Weg für gesellschaftlichen Fortschritt.
Wir bestimmen den Wert der Dinge und Dienstleistungen für uns selbst. Dabei handelt es sich immer um eine Vertrauensfrage: Niemand stellt heute den Wert von Geld in Frage, weil die Gesellschaft an die Zahlen glaubt, die auf die Scheine gedruckt werden.
Ferner vertrauen wir uns, den Wert einer Dienstleistung, eines Gegenstandes oder gar eines Risikos zu bestimmten. Diese Entscheidungen treffen wir frei.
Wer hätte in der guten alten Zeit gedacht, dass Sie in Jogginghose und Unterhemd an einer noblen Auktion in Berlin-Charlottenburg teilnehmen könnten, ohne dass sich jemand daran stört. Das Bild von Brandt geht am Ende für 7500 Euro weg. Ein Bieter aus dem Internet hat es ersteigert.